Koch Klassik Automobil GmbH - Heilbronn
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Vom Winde verweht

Anfang der 30er-Jahre revolutionierte die Stromlinienform das Karosserie-Design.

Zwei Modelle erreichten größere Stückzahlen:

Adler 2,5 Liter und Peugeot 402.

Bericht von: MotorKlassik 

Ausgabe 3/2016

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Aus heutiger Sicht wirken die beiden rostroten Vorkriegszeit-Limousinen weder modern noch besonders attraktiv. Sowohl der Adler wie auch der Peugeot machen mit ihren eng zusammenstehenden Scheinwerfern, ihren abgerundeten Boxernasen und den nach hinten stark abfallenden Seitenlinien eine eher merkwürdige Figur. Nicht jeder findet sie sofort hübsch. Aber beide Oberklasse-Limousinen waren damals aufgrund ihres Stromlinien-Designs hochmodern und absolut zukunftsweisend. Das erkennt man im direkten Vergleich mit einem konventionellen Auto aus den mittleren 30er-Jahren wie dem Mercedes 230 W 143. Der konservativ gestylte Stuttgarter besaß eine nur leicht nach hinten gekippte Windschutzscheibe, breite Trittbretter, frei stehende Vorderkotflügel, einen fast senkreicht dem Fahrtwind trotzenden Chromkühler, daneben die obligatenStielaugen-Scheinwerfer und schließlich das auf dem rechten Kotflügel stehend montierte Ersatzrad. Ein typisches Vorkriegsfahrzeug eben. Wer sich damals jedoch für einen der insgesamt 5.295 produzierten Adler 2,5 Liter oder 58.748 Peugeot 402 entschied, gab sich als ein modern denkender, aufgeschlossener Automobil-Fachmann zu erkennen.

Graf Zeppelin lässt grüßen

Stromlinien-Karosserien waren seit Mitte der 20er-Jahre das zentrale Thema beim Fahrzeug-Design. Die großen Luftschiffe des Ferdinand von Zeppelin sowie die ersten zivil eingesetzten Verkehrsflugzeuge symbolisierten nicht nur einen unerschütterlichen Fortschrittsglauben, sondern wurden mit ihren glatten, strömungsgünstigen Formen auch zum Vorbild für Landfahrzeuge auf Schienen und Straßen.  So arbeitete der maßgebliche Stromlinien-Pionier Paul Caray zunächst in den Zeppelin-Werken am Bodensee, bevor er sich als Designer einen Namen machte und einzelne Spezialkarosserien für Maybach, Mercedes, Audi und andere anfertigen ließ. Auch der Tetra 77 von 1934, eine konsequent ohne Kühlergesicht gezeichnete Stromlinien-Limousine, zeigt Jahraus Handschrift. Der große Tetra mit luftgekühltem V8-Motor im Heck war das erste in Kleinserie gebaute Stromlinien-Auto Europas. Doch die windschnittigen Autos mit ihren schräg gestellten Frontscheiben, den integrierten Kotflügel und Scheinwerfern sowie den bis zur Stoßstange reichenden Fließhecks kamen zunächst beim Publikum überhaupt nicht an. Der Chrysler Airflow von 1934 flotte in den USA nicht nur wegen technischer Mängel, sondern primär wegen seiner avantgardistischen, sehr kühl wirkenden Stromlinien-Karosserie mit dem typischen, ungeliebten „Wasserfall“-Kühlergrill. Und genau den erhielt auch der ein Jahr später in Paris präsentierte neue Peugeot 402.

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Frankreich liebt den „Wasserfall“

Im Gegensatz zu den amerikanischen Autokäufern mochten die Franzosen die Karosserie des 402 – trotz des fast identischen „Wasserfall“-Kühlergrills. Zusammen mit der kleineren, optisch fast gleichen 402-Variante 302 fanden beide Peugeot-Modelle von 1935-1942 knapp 100.000 Käufer. Und das trotz der eigenwillig hinter dem Kühlergrill platzierten, eng zusammenstehenden Scheinwerfer. Ein Grund für die Popularität des Peugeot war die enorme Modellvielfalt. Allein vom 402 gab es 16 verschiedene Karosserie- und Motorvarianten mit drei verschiedenen Radständen. Der 402 Légère kombinierte zum Beispiel den Zweilitermotor des 402 mit der kleinen 302-Karosserie. Den Légère gab es als viertürige Berlin, als coupéartigen Coach und als Cabriolet. Zu den verschiedenen Varianten des großen 402 zählte auch ein Commerciale mit zweiteiliger Heckklappe. Legendär wurde schließlich das große 402 L Cabriolet Métallique Décapotable mit im Heck versenkbarem Schiebedach, bekannter als exklusiver Peugeot 402 Eclipse. Für den Verkaufserfolg der 402-Baureihe war auch die robuste Technik mit Heckantrieb und modernem OHV-Vierzylindermotor verantwortlich, der bei 4000 Touren 55PS produzierte. Außerdem werteten viele hübsche Chrom-Zierelemente im Art-déco-Stil die Karosserie optisch auf. Zum Beispiel der Löwenkopf auf dem Kühler, der zugleich als Entriegelungshebel für den nach unten aufklappbaren Kühlergrill dient. Innen ist der 402 eher schmucklos ausgestattet und wirkt, einmal abgesehen von den sorgfältig gepolsterten Sitzbänken, eher wie ein Militärfahrzeug. Dazu passen auch schlichte Lenkrad und die beiden zur besseren Belüftung unten ausstellbaren Windschutzscheiben-Hälften. Der aus dem Cockpitblech ragende Stockschalthebel des Dreiganggetriebes erinnert an den Renault 4 de ersten Generation. Und fast genauso fährt sich auch der 402, dessen Motor mit dem 1,2 Tonnen schweren offiziellen Sechssitzer spielend fertig wird. Schon ab Tempo 50 kann man im dritten und letzten Gang fahren. Mitschwimmen im Alltagsverkehr bereitet bis zur Topspeed von 120km/h ebenso wenig Probleme wie das Schalten mit dem Schiebestock: raus, rein, raus – mit viel Gefühl, aber ohne Hektik oder Nachdruck. Dass wir in einem in einem Vorkriegsautomobil unterwegs sind, registrieren wir an der aufrechten Sitzposition mit dem Gesicht nah an der Windschutzscheibe, am Jaulen und Brummen der Antriebseinheit und an den manchmal mit Verzögerung zupackenden Seilzugbremsen.

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Fährt der Adler mit seinen modernen Hydraulikbremsen und Einzelradaufhängung einen Tick souveräner als der Peugeot? Das Wollen wir jetzt herausfinden und wechseln das Auto. Der im Volksmund auch Autobahn-Adler genannte Viertürer trägt außen wenigChromschmuck. Umso mehr glänzt das vom Bauhaus-Architekten Walter Gropius entworfene Firmenzeichen auf der Motorhaube. Deren bis zur Stoßstange hinabrechende Zierriffelung soll die schmale Öffnung des Kühlergrills kaschieren. Der zusätzliche, in Fahrtrichtung rechts außen angebrachte Frontscheinwerfer diente zur besseren Ausleuchtung des Straßenrandes. Im Gegensatz zum Peugeot erfreut uns der Adler mit einem luxuriös und geschmackvoll ausgestatteten Cockpit. Gleich drei Rundinstrumente informieren mit verschiedenen Anzeigen über den Benzinvorrat und das Wohlbefinden der Technik. Die offenen Heizkreise eines Zigarettenanzünders unter dem zentral imm Armaturenbretts positionierten Aschenbecher warten auf die filterlose Nil oder Roth-Händle. Darunter zeigt eine ovale Schaltschema-Plakette, wie man den nach unten geköpften Stockschalthebel zu bedienen hat.

Der Adler schwingt die Flügel

Wie beim Peugeot verjüngen sich das Cockpit und vor allem der Fußraum stark nach vorn. Für drei Passagiere auf de vorderen Sitzbank wird es dann sehr eng – und das Schalten für den Fahrer fast unmöglich. Die Fonpassagiere genießen etwas mehr Platz. Man sitzt jedoch vergleichsweise tief und wird nicht so fürstlich verwöhnt wie im Peugeot, wo man mit übereinander geschlagenen Beinen im „Figaro“ Blättern kann. Der 58PS starke Sechszylinder des Adler läuft etwas ruhiger und vibrationsärmer als der Vierer im Peugeot. Auch die Hydraulikbremsen des in Berlin bei Ambi-Budd produzierten Streamliners packen etwas wirkungsvoller zu als im 402. Auf heutigen Autobahnen könnte der Autobahn-Adler bei den Lkw bequem mitschwingen und sich danke einer Max von 125km/h sogar zu einem Sturzflug auf der linken Spur aufraffen. Beide Stromlinien-Autos fuhren etwa 10-15km/h schneller als ein normales, gleich starkes Auto aus jener Zeit wie zum Beispiel der eingangs aufgeführten Mercedes 230 mit 55PS. Die Automobilmarke Adler war übrigens bis zum Krieg genauso populär und erfolgreich wie Mercedes. Mit Sitz in Frankfurt stellte man seit 1880 zunächst Fahrräder, ab 1898 unispäter auch Schreibmaschinen, Automobile und Motorräder her. In der ersten Hälfte der 30er-Jahre lag Adler nach Opel und der Auto Union noch vor Mercedes an dritter Stelle der Personenwagenzulassungen in Deutschland. Die in der Regel konventionell gestylten Autos waren robust, gut ausgestattet und technisch innovativ. Mit Kriegsbeginn endete die Autoproduktion, die nach 1945 nicht mehr aufgenommen wurde. Insofern ist der außergewöhnliche Autobahn-Adler wirklich der Letzte seiner Art, von dem heute noch etwa 45 Stück existieren.

Fazit:

Adler und Peugeot sind zwei Design-Meilensteine auf dem Weg zur Ponton-Karosserie: historisch besonders wertvoll. Ihre einzigartige Optik mit vielen hübschen Details hebt sich aus dem Einerlei der Vorkriegsmodelle hervor. Und sie fahren ganz prima – so flink wie eine Käfer oder 2CV aus den 60ern. So mach die 30er-Jahre richtig Spaß.