SCHLAMM DRÜBER

Pit Lindner will die Rallye Peking-Paris mitfahren – und zwar möglichst bis ins Ziel. Das bedeutet penible Vorbereitung. Motor Klassik zeigt, wie sein Heckflossen-Mercedes 200 fachgerecht präpariert wurde.

Muttermilch dürfte in den Familien Lindner und Koch einst nur als Sättigungsbeilage gereicht worden sein. Das Kern-Nahrungsmittel der hoffnungsvollen Säuglinge Hans Peter und Horst muss jedenfalls hochoktaniges Benzin enthalten haben, damals in den Fünfzigern. Andererseits ist die pulsierende Autoleidenschaft der beiden kaum zu erklären.

Koch Klassik Automobil GmbH - Heilbronn

Bericht aus der Motor Klassik

Ausgabe 05/2007

Text: Malte Jürgens / Fotos: Wolfgang Wilhelm

Bevor uns jetzt die erbosten E-Mails der Tofu-Krieger einer in die Festplatte verkleistern: Jawohl, auch Motor Klassik weiß, dass man Kindern keinesfalls mit Benzin füttern darf. Nicht mal die, die den Hund immer so ärgern. Es ist ein Gleichnis mit der Bedeutung: Pit Lindner und Horst Koch lieben Oldtimer und mögen keine halben Sachen, wenn es damit über Land geht.
Im Fall des hier vorgestellten Mercedes-Benz der Baureihe W110 ist von Juni bis Juli eine schon etwas ausgedehntere Spritztour geplant, nämlich von Peking bis nach Prais. Nach dem Original 1907 und dem ersten Revival 1997 nun also zum dritten Mal mit den Heroen der Automobilen Frühgeschichte über Stock und Stein. Und über 12. 214 Kilometer.

Lindner, Fahrer und Auftraggeber, zu Koch, dem Techniker: „Welches Auto schlägst du vor?“
Koch zu Lindner: „Im Prinzip drei Marken. Für Afrika-Rallyes Peugeot, ansonsten Volvo oder Mercedes.“
Lindner: „Wir fahren von Ostasien nach Westeuropa.“
Koch: „Dann die schwäbische Variante. Ein Auto, das als Taxi 400.000 Kilometer hält, verfügt schon mal über eine gewisse Grundstabilität.“

Also ersteht Lindner in Italien für knapp 8000 Euro eine Heckflosse. Bei Koch Klassik in Kirchhausen nahe Heilbronn eingetroffen, wird der Mercedes zügig nackig gemacht.
Koch: „Wir haben ihn auf die Richtbank gespannt und bis zum Kardantunnel neu aufgebaut. Die Bleche wären für den normalen Oldie-Alltag okay gewesen, aber eine so harte Rallye hätte sie vermutlich zerbröselt.“

Auf die Richtbank gespannt, überstellt Koch das Mercedes-Skelett zu Heino nach Würzburg: Montage eines stabilen Überrollkäfigs. Durch diesen wird das Heck bis zu den Stoßdämpfern verstärkt, dann armiert Koch die Schwelle mit separaten U-Eisen als Ankerpunkte des Käfigs: „Wenn ein Rallye-Auto mal richtig aufs Dach fällt und der Käfig dabei durch die Bodenplatte geschlagen wird, haben Fahrer uns Beifahrer meistens keine Chance mehr.“
Der Kofferraumboden weicht einer tieferen Wanne, in der die 15 Zoll großen Reserveräder rechts und links nun senkrecht stehen. Die Tankbucht wird als Gepäckfach zusätzlich bedeckelt, das neue Spritfass nach den FIA-Sicherheitsvorschriften sitzt über der Hinterachse.

Koch Klassik Automobil GmbH - Heilbronn

Das Peking-Paris-Reglement, technisch eigenständig, schreibt mindestens 700 Kilometer Reichweite vor. Also fasst der Tank nun 135 Liter, denn Geländefahrten machen Motoren durstig. Pfiffig auch der Catchtank: Er ist über eine separate Ablassleitung zu leeren, um Wasser oder Schmutz aus dem Benzin zu entfernen.

Motor, Getriebe und Hinterradantrieb bekommen einen stabilen Unterfahrschutz, den Mercedes schon in den 60er Jahren homologieren ließ. Damals trieb das Werk noch Rallyesport und unterstützte Kunden, die mit der Heckflosse ebenfalls bei den großen Klassikern starteten.
Logisch auch die Anhängerkupplung. „Nicht, weil wir einen Hänger mitnehmen wollen“, sagt Koch, „aber die Kupplung optimiert den Unterfahrschutz und die Heckstabilität.“

Techniker finden in den alten Mercedes-Werksunterlagen fast alles, was das Herz des Rallye-Profis höher schlagen lässt.

Da sind schon ab Werk drei verschiedene Federhärten und -längen homologiert, da gibt es für den Betrieb als Kombi oder Krankenwagen bei der Heckflosse verstärkte 15-Zoll-Felgen (Serie 14 Zoll), und da bieten die passenden M+S-Reifen des Mercedes Sprinter 6-ply-Sicherheit.
Über Stoßdämpfer ist mit dem Rallye-Mann nicht zu diskutieren: „Öhlins, weil die robust und optimal einstellbar sind.

Koch Klassik Automobil GmbH - Heilbronn
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In den Nebensätzen flicht Koch drei Jahrzehnte Motorsporterfahrung in das Gespräch: „Keine exotischen Materialien wie Karbon oder Edelstahl. Auch in der Mongolei gibt es Werkstätten, die normalen Stahl schweißen können, aber eben keinen Edelstahl.“
Langsam arbeitet sich der Mann mit dem Nachnamen Klassik vom Bodenblech nach oben: „Die Frontmaske haben wir gegen die Sechszylinder-Variante getauscht, um den größeren Kühler auch beim Vierzylindermontieren zu können.“ Vier Spritzlappen schreibt das Reglement an den Radhäusern vor; Koch hat neue Innenkotflügel eingebaut und damit rechts und links ein sicheres Plätzchen für die beiden elektrischen Benzinpumpen geschaffen. Und weil er gerade wieder unter dem Wagen lag, hat er auch rasch noch die Hinterachse gegen eine Strichacht-Version mit Scheibenbremsen und der Übersetzung des Kombis getauscht, um den größeren Abrollumpfang der 15-Zöller zu neutralisieren.

Das Vierganggetriebe wird neu gelagert, bleibt aber seltsamerweise unverändert. Die Entlüftung wie auch die der Hinterachse allerdings nicht. „Die Schläuche müssen hoch gelegt werden. Sonst fährt man in eine Wasserlache, die Alu-Gehäuse kühlen schlagartig ab – und die Entlüftung zieht so Wasser.“

Sabile Rohre führen innen längs der Schwelle Benzin- und Bremsleitungen. Der Kabelbaum wird von Koch Klassik neu angefertigt, und zwar doppelt. Bei Bruch oder Brand reicht einfaches Umstecken der Leitungen. Sämtliche Verbraucher sind separat abgesichert, die Benzinleitung enthält zwischen Tank und Vergaser insgesamt vier Filter.

Bevor wir zum Motor kommen, noch ein Wort über die Rallye-Sitze. Der Schwabe sieht die Sache pragmatisch: „Irgend so ein Kohlelager-Supersportsitz ist für eine Langstrecken-Rallye mit Sicherheit ungeeignet. Man muss zwölf oder 14 Stunden bequem und sicher sitzen. Daher nehmen wir orthopädische König-Sitze mit Lordosenstütze, viel Polsterung und guter Seitenführung.“

Koch Klassik Automobil GmbH - Heilbronn

Der Vierzylinder wird nicht etwa auf mehr Leistung getunt. Der neu angefertigte Kopf senkt die Verdichtung von 1:9 auf 1:7.5, was der ländlichen Spritqualität in Zentralasien – „68 oder doch 75 Oktav?“ – durchaus entgegenkommt.
Eine neue Nockenwelle mit längeren Steuerzeiten und größerem Ventilhub gleicht das Verdichtungsmanko teilweise wieder aus. Der von Haus aus 95 PS leistende Motor entwickelt nun zwar ein bärtigeres Drehmoment bei niedrigen Drehzahlen, doch sinkt die Leistung je nach Nocken auf 85 oder 75 PS. 
Weniger ist auf Langstrecke oft mehr.

Grundsanierung, Aufbau und erste Abstimmung des Vierzylinders übertrug Koch den Spezialisten von Kreuzmüller in Bad Oeynhausen. Dort wurde auch ein Kopfsensor montiert, der den Fahrer über eine Warnlampe im Instrumentenbrett Rot sehen lässt, sobald der Motor klingelt. 
Lindner: „Im Gelände überhört man das zu leicht.“
Mit Sprit aus Russland testet Kreuzmüller auf dem Prüfstand. Die erste Prüfung des ganzen Autos übernimmt dann Lindner: Mit Copilot Alexander Buck gewinnt er zum Jahresende 2006 die neuseeländische Kiwi-Rallye.

Während Koch gern über die Technik spricht, verfällt er bei der Frage nach dem Preis seiner Bemühungen in diskrete Einsilbigkeit: „Nun ja. Da kommt rasch ein Vielfaches des ursprünglichen Kaufpreises zusammen.“
Bleibt der Trost, dass nicht alle Rallye-Teile sündhaft teuer sind. Die Gitterabdeckungen der Scheinwerfer etwa stammen von einer handelsüblichen Schöpfkelle für Pommes frites. 

Koch Klassik Automobil GmbH - Heilbronn
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PS: Die Rallye Peking-Paris 2007 schloss Pit Lindner mit dem Gesamtsieg ab.

Ziel: Ankommen. – Check !
Schöne Beigabe: Gesamtsieg !